Befragt man Menschen auf der Straße, was sie von Zweiklassen-Medizin halten, so ist die Antwort eigentlich immer und übereinstimmend „Gar nix“. Auch Ich hätte ohne Zögern so geantwortet. Bis zu jener schicksalhaften Begegnung, die meine Sicht auf das Gesundheitswesen veränderte.
Ich höre Sie schon schnauben. Da fordert einer Zweiklassen-Medizin? Zügeln Sie Ihre Empörung noch, bis Sie erfahren, welche zwei Klassen ich hierbei im Auge habe. Dazu muss ich ein wenig ausholen und Sie mit einem besonderen Menschenschlag bekannt machen, dem Harten Schnarcher™.
Sollte es Sie nämlich, aus welchen Gründen auch immer, in die Fänge unseres Gesundheitssystems und zeitgleich in ein Zweibettzimmer verschlagen, so stehen die Chancen nicht schlecht, auf einen Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe zu treffen.
Harte Schnarcher™ durchlaufen, wenn Sie mir diesen kurzen Ausflug gestatten, wie etwa Trauernde auch, fünf Phasen.
- Verleugnung „Ich schnarche nicht. Niemand in meiner Familie schnarcht. Ich schlafe wunderbar, das ginge ja wohl nicht, wenn ich mich immer schnarchen hörte. Hast du Beweise? Tonaufnahmen? Nein? Ha!“
- Wut „Ey! Ich kann doch nix dafür, ICH BIN HIER DAS OPFER. Also jammer nicht dauernd rum wegen dem bisschen laut Atmen.“
- Verhandeln „Wir können uns doch einigen. Montag bis Samstag schläfst du auf dem Sofa und Sonntag ich.“
- Depression „Alle sind immer so gemein zu mir. Wegen dem bisschen Schlafmangel. Das wird TOTAL überbewertet.“
- Akzeptanz „Naja, sehen wir das positiv. Immerhin kann einer von uns beiden problemlos durchschlafen. Nachti!“
Böse Zungen behaupten gar, der Harte Schnarcher™ sei außerhalb von Gemeinschaftsschlafsälen überhaupt nicht überlebensfähig und käme daher in freier Wildbahn so gut wie nicht vor. Ich habe mittlerweile jedoch glaubwürdige Berichte zusammengetragen, die das Gegenteil bezeugen.
Nun ist der Harte Schnarcher™ tagsüber häufig ein durchaus angenehmer und jovialer Zeitgenosse und für den Ahnungslosen nicht einfach zu erkennen. Ich kann hier nur dazu raten, Erzählungen von neuen Bettnachbarn aufmerksamst zu lauschen. Bevor es zu spät ist.
Berichtet er vielleicht beiläufig, dass seine Gattin seit 20 Jahren nur noch auf der Wohnzimmercouch nächtigt? Haust er, von seiner Familie verstoßen, in einer einsamen Almhütte fernab jeglicher Zivilisation? In einer Gegend, die für ihre nächtlichen Lawinenabgänge bekannt ist?
Sie haben das finstere Geheimnis Ihres Zimmergenossen nicht rechtzeitig aufgedeckt? Dann ist es nun zu spät. Pünktlich nach dem heute journal wirft ihr Nachbar sein Schlafmittelchen ein, sagt „Gute Nacht“ und wirft sich in Morpheus‘ willige Arme.
Sie hatten sich zugegebenermaßen ein wenig gewundert, als die nette Krankenschwester bei der Austeilung der Einschlafhilfen zu ihm sagte „Oha. Mein Vater ist Tierpfleger bei Hagenbeck. Die benutzen sowas um Wasserbüffel einzuschläfern. Aber wenn Ihr Doc das so verordnet hat…“
Nachdenklich blicken Sie auf den halben Baldrian-Drops, den man Ihnen zugeteilt hat. Der Glaube an den Placebo-Effekt scheint stark zu sein in diesem Krankenhaus. Whatever, Sie haben eigentlich nie Probleme einzuschlafen. Das würde schonGGGGGGGNNNNNNNNNNOOOOOOOOORGGZZZCHCHCHRRRRR
Oh mein Gott. Was war das. Sie sitzen kerzengerade im Bett. War vielleicht der Rettungshubschrauber auf dem Dack abgestürzt und sein amoklaufender Rotor fraß sich gerade durch Chirurgie und Orthopädie bis zur Cafeteria einmal quer durchs Klinikgebäude? Stand eine Evakuiierung an?
Was nur Eingeweihte wissen: Die Einnahme schlaffördernder Mittel (rezeptfrei hopfenbasiert oder verschreibungspflichtig) macht zuverlässig auch aus dem vergleichsweise harmlosen Schnarcher™ einen Harten Schnarcher™.
Während Ihr Bettnachbar bereits sorgfältig das erste mittelgroße Birkenwäldchen verarbeitet hat, klammern sie sich an die Hoffnung, dass vielleicht bald eine Lageänderung anstünde und das Schnarchen dadurch weniger würde. Freie Atemwege und so. Sein Gaumensegel vibriert weiter.
Die Schrecken der Nacht, die folgt, können wir hier aus Jugendschutzgründen nur andeuten. Springen wir daher zum nächsten Morgen. Oberschwester Elke betritt das Zimmer. „Guten Morgen die Herren, haben wir gut geschlafen?“. Plötzlich hat sie keinen Kopf mehr.
Ihr Bettnachbar schweigt auffällig. Möglicherweise hat Ihr dezenter Hinweis, dass er dem Tod durch Ersticken mittels einen Krankenhauskopfkissens nur denkbar knapp entronnen ist, damit etwas zu tun. Nur einem fehlenden Alibi hatte er sein überraschende Überleben zu verdanken.
Etwas später. Sie liegen auf dem Operationstisch. Der Anästhesist blickt in ihre glasigen, leeren Augen und sagt „Ihr braucht mich gar nicht, der kriegt eh nix mit.“ Sie nutzen die Gunst des Augenblicks, greifen ein bereitgelegtes Skalpell und nehmen die OP-Schwester als Geisel.
Sie lassen Sie nur unter der Bedingung laufen, dass man Ihnen schriftlich versichert, Sie unter keinen Umständen nach der OP wieder mit einem Harten Schnarcher™ zusammenzulegen. Der von der Kripo geschickte Verhandlungsspezialist bricht weinend zusammen, als er Ihre Story hört.
Vor dem Krankenhaus hat sich eine spontane Solidaritätskundgebung gebildet. Tausende feiern Sie als den ersten, der es wagt, sich aufzulehnen gegen die Tyrannei der nächtlichen Akustikterroristen und ihrer zuckenden Zäpfchen, die jeden Luftstrom zur tödlichen Waffe werden lassen.
Und die Moral von der Geschicht? Fragte man Sie erneut, ob Sie für eine Zweiklassenmedizin wären, so würden Sie antworten: „Natürlich. Harte Schnarcher werden in Krankenhauskellern mit ihresgleichen untergebracht UND DA KÖNNEN SIE DANN SPASS HABEN MITEINANDER DIE GANZE NACHT.“